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Karriere & Lebenslaufgestaltung

Irgendjemand hat einmal den Begriff Karriere so definiert, dass es im Laufe eines Lebens darum geht die Karriereleiter immer um ein weiteres Stückchen zu erklimmen, mit der Vision, dem Non-Plus-Ultra, ganz oben anzukommen, am Goldtopf der Welt oder eben eines einzigen Unternehmens. So war das und so sitzt das fest in unseren Hinterköpfen. Und jetzt, einige Jahrzehnte später kommen da doch tatsächlich individuelle Werte und Vorstellungen mit ins Spiel, die diese unbewusste Erwartungshaltung anfangen zu hinterfragen. Dass wir arbeiten gehen, um auch überleben zu können in einer Welt in der Geld nun einmal unsere Währung ist, steht außer Frage. Dennoch stellt sich der Mensch heute doch die Frage, ob er sein Wertegerüst tatsächlich aufgeben möchte, um am Ende seines Lebens mit einem tollen Haus, Auto und einer Menge Geld dazustehen. Und wenig Zeit, wie bei „Momo und die Stundenblumen“. Da stellt sich doch die Frage, ob man sich in einer ständigen „Lebenslaufgestaltungsphase“ befinden möchte, à la „wenn ich mich jetzt anstrenge, dann ziehe ich in Zukunft das große Los“. Aber was ist denn nun eigentlich dieses „thing called Zukunft“ und wann kommt sie endlich bei uns an, wenn wir uns doch immer nur in der Gegenwart befinden? Ich weiß zumindest, ich bin nicht auf die Welt gekommen, um ständig an meinem Curriculum Vitae zu feilen. Meine Karriere inklusive Gehalt, Arbeitszeiten und Arbeitsorten sieht nicht linear aus, sondern bunt und in seltsamen geometrischen Formen. Denn mein Lebenslauf kann erst richtig für mich sein, wenn ich ihn so gestalte, wie ich mir den Lauf meines Lebens auch wünsche. Ansonsten ist er nur eine Sammlung von Firmennamen auf einem weißen Blatt Papier. Auch in Zukunft. Tut nicht immer, „was man tun sollte“. Und wer ist eigentlich dieses „man“?

Was wollen wir eigentlich wirklich?

 

Wenn man Menschen fragt, was sie eigentlich am Arbeitsplatz benötigen, oder an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz ändern würden, um zufrieden zu sein, haben viele darauf eher schwammige Antworten. Fast alle wünschen sich „Spaß bei der Arbeit“ – wenn man dann allerdings nachhakt, was ihnen genau diesen Spaß bereite, kommen selten wirklich klare Vorstellungen ans Tageslicht. Ich glaube das liegt 1. daran, dass wir sehr festgefahren sind in der Vorstellung wie Arbeit „auszusehen hat“ und 2. wir uns genau aus dem Grunde selbst nie diese Frage ernsthaft stellen würden, ohne Punkt eins außer acht zu lassen. Kreativtechniker würden sagen, wir müssen uns erst von dem Problem entfernen, um es zu lösen. Da wir das aber im Alltag so gut wie nie tun, entstehen dann Aussagen wie die folgenden:

1. „Das ist eben Arbeit, das macht einfach nicht immer Spaß.“
2. „Naja, am Liebsten hätte ich ja einen 80%-Job, aber das geht nicht so einfach.“
3. „Ich hätte gerne so viel Urlaub wie ich möchte – ha ha.“
4. „Diese ganzen modernen und flexiblen Arbeitsmodelle funktionieren doch nicht in großen Unternehmen. Und das geht doch nicht in jedem Job so einfach.“
5. „Arbeit und Privates trenne ich lieber. Wenn ich daheim bin, will ich meine Ruhe.“
6. „Das sind doch Luxusprobleme!“

Mit vollstem Respekt für individuelle Ansichten erlaube ich mir jetzt einfach einmal ein paar Fragen zu stellen:

1. Hat irgendjemand gesagt, dass das Leben im Allgemeinen immer Spaß macht? Warum aber gehen wir bei der Arbeit viel mehr Kompromisse ein, als wir das in anderen Bereichen im Leben machen? Haben wir Angst, ersetzbar zu sein, unsere Familie nicht mehr ernähren zu können? Können wir das wirklich nicht zusammen ändern, indem wir für unsere Arbeit als individuelles Lebensmodell kämpfen, sodass wir produktiv und zufrieden gleichzeitig sind? Wo ist der Idealismus? Warum sind Menschen die etwas Gutes schaffen wollen, so oft gleich „Gutmenschen“?
2. Warum stellen wir nicht einfach die Frage, ob das grundsätzlich möglich ist, ohne sich faul oder unkonventionell zu fühlen? Wer sagt eigentlich, dass wir bei 100% mehr leisten, als in weniger Arbeitszeit? Warum setzen wir uns bei privaten Dingen wie z. B. Hausputz keine Zeit von vier Stunden fest und schrubben dann wenn wir nach drei Stunden fertig sind noch eine Stunde über die schon sauberen Flächen?
3. Warum fahren wir nicht dann in den Urlaub, wenn wir meinen, es sei notwendig? Oder andersrum: sind wir richtig am Platz in unserer Arbeit, wenn wir in Wirklichkeit in Gedanken im Urlaub sind, oder finden wir vielleicht gerade in diesem Urlaub die Lösung, nach der wir so lange in unserem Bürostuhl gesucht haben?
4. Schon einmal länger ernsthaft darüber nachgedacht, ohne zu urteilen? Falls ja, schön! 🙂
5. Warum wollen wir unsere Arbeit eigentlich aus unserem Privatleben so verdrängen wie traumatische Erlebnisse auch? Warum passt unsere Arbeit gefühlt nicht in unsere Wohnzimmer, wo die Wohnzimmer doch so gut zu uns passen?
6. Eindeutig! Aber Depressionen sind auch keine Lösung. Und das ist keine Frage.

In Wirklichkeit fliehen wir doch schon sehr oft vor dem Gedanken Arbeit. Wir arbeiten uns von Wochenende zu Wochenende, von Urlaub zu Urlaub und behaupten dabei gleichzeitig, wir würden unseren Job eigentlich schon ziemlich gut finden und anderswo ist es ja wahrscheinlich auch nicht besser. Eigentlich wahrscheinlich. Wir rechtfertigen uns vor uns selbst und bringen zu wenig Zeit und Mut auf, das regelmäßig zu hinterfragen. Dabei schreiben wir idealistische Sprüche auf Poster, Tassen und Kalender und platzieren sie überall, wo wir sie sehen können. Wir leben sie dann aber nur so halb, weil dit Leben is ja keen Ponyhof und so. OK, aber wo ist der Wille geblieben uns dahin zu bringen, wo wir hinwollen?  Ich spreche nicht von Träumereien und Hirngespinsten und Zuckerwatte, auch nicht zwingend von sofortigen Jobwechseln und Rebellionen, sondern davon, gezielt, langsam und beständig auf das Leben und die darin eingebettete Arbeit hinzuarbeiten, wie wir es uns wirklich wünschen. Den Job, den wir uns erträumen, selbst mitzugestalten, gemeinsam für alle zu kämpfen und dabei auch noch Spaß zu haben. Mancher Coach würde an der Stelle dafür plädieren, nicht auf die Zukunft hinzuarbeiten, denn sie wird ohnehin nie eintreten, weil sie uns immer in der Gegenwart erreichen wird (klingt klug, ist es aber auch).

Vielleicht entfernen wir uns einfach einmal vom ursprünglichen „Problem“ „Arbeit“, indem wir in die Vergangenheit blicken. Zurück in die Kindheit, in der wir noch intuitiv gehandelt haben, mit Emotionen, ohne Vorbehalte. Was haben wir als Kinder wirklich gerne gehabt, was hat uns zum gackern gebracht? Was haben wir abgelehnt, wann waren die Krokodilstränen groß? Was hat sich geändert und warum? Was ist noch übrig von unserer Intuition? Und was hindert uns eigentlich noch wirklich wirklich daran, uns die Welt so zu gestalten, wie wir sie uns vorstellen?

Aus aktuellem Anlass.

„Flüchtlinge, Asylsuchende… das klingt so schlecht… wir sind doch Menschen!“ (aspekte, ZDF, 04.03.16)

Ich kann es nicht oft genug sagen. Schubladendenken bitte hinterfragen und wenn möglich ausschalten. Es sind einfach Menschen. Menschen mit all ihrer Schönheit, ihren Talenten, aber auch mit ihren Hässlichkeiten und Problemen. Aber wenn wir diese Menschen aus der wirtschaftlichen People-Management-Perspektive sehen wollen, dann dürfen sie in unserem Kopf nichts anderes als Kandidaten sein. Kandidaten, die eben ein paar andere Grundvoraussetzungen mitbringen, auf die man unter Umständen anders eingehen muss. So wie man auch auf unterschiedliche Menschen unterschiedlich eingehen sollte. Erstmal nicht mehr und nicht weniger. Das wäre der Wunsch. Da haben Politik gemeinsam mit Wirtschaft und Schubladenpolizei allerdings noch einiges zu tun. Ok? Ok – los geht’s!

Dinge, die wir im Arbeitsleben tun, obwohl sie überflüssig sind – Teil 1: Das Kind in sich unterbinden

Warum sind wir eigentlich immer so bierernst bei der Arbeit? Ich sitze Freitagabend im ICE von Frankfurt, der Spießerhochburg, nach München, der Bonzenhauptstadt und bekomme genau dieses Gefühl vermittelt. Ständig steht ein ernster grauer Anzugmensch auf und führt ein very wichtiges Telefonat, auf den Laptops wird herumgehackt und von Feierabendstimmung kann nicht die Rede sein – na gut, manche trinken ein Glas Wein, während sie online recherchieren. Auch in dem Kreativseminar heute fiel ein Satz der mich zum nachdenken gebracht hat. „Spaß an der Arbeit, aber mit dem nötigen Ernst der Sache (!)“ Warum zur Hölle muss man das denn immer mit dazu erwähnen? Warum ist lachen, Spaß an der Arbeit, spielerische Herangehensweisen an Probleme (wie im heutigen Seminar getan) und loslassen von alten Konventionen immer sofort mit „zu wenig Ernst“ verbunden? Warum muss man sich fast schon rechtfertigen, wenn man Spaß an der Arbeit hat? Meine liebe Kollegin und ich sind im Sommer mal zum Brainstormen in den Biergarten abgehauen, nur eine Stunde vor Feierabend, aber immerhin. Im Biergarten haben wir durch den Perspektivenwechsel, durch die Entfernung vom Problem richtig gute Ideen gesponnen und hatten auch noch so viel Spaß an der Freude, dass wir eine Stunde länger im Biergarten saßen. In den konventionellen Kopf würde so etwas allerdings niemals in die „Überstunden“-Schublade fallen, sondern eher in die „Jaaa-genau-die-„Arbeiten“, mmmhmmm…“-Sparte. Und genau deshalb auch traut sich der Durchschnittsmitarbeiter immer noch nicht, sich von seinem Schreibtisch wegzubewegen. Obwohl so gut wie jeder, mit dem man sich unterhält antwortet, er möchte Spaß bei der Arbeit haben, wird Arbeit heute immer noch mit Ernst und Fleiß verbunden und Ernst und Fleiß müssen anstrengend sein, dabei muss man schwitzen und leiden, das kann ja nichts Schönes sein. Das darf eigentlich überhaupt nichts Schönes sein, denn wir definieren uns von Schulzeiten an darüber, dass wir viel zu viel Hausaufgaben, Arbeit, Stress und eh überhaupt keine Zeit für irgendwas haben. Schon mal mit jemandem gesprochen, der über seine Arbeit behauptet, es wäre alles easypeasy, Stress habe die Person kaum und eigentlich ist alles super so wie es ist? Das wäre ja langweilig. Ich habe das eine Zeit lang gemacht, weil es tatsächlich auch so war, dabei noch gegrinst und musste feststellen, dass das nach kurzen, leicht verwunderten Blicken gar nicht so schlecht ankommt. Ui, da ist jemand zufrieden, vielleicht darf ich das ja auch sein?! Vielleicht ist es an der Zeit, die Perspektive zu wechseln, vielleicht darf man ja einfach mal das innere Kind in sich bei der Arbeit herauslassen, quengeln wenn einen etwas stört und Luftsprünge durchs Büro machen wenn man sich über etwas freut. Und auch mal Spielen gehen, wenn man nicht weiter weiß. Letztendlich heißt das nämlich auch nichts anderes, als man selbst zu sein und damit seinen Bedürfnissen nachzugehen um letztendlich produktiver und mit mehr Freude an Themen ran zu gehen.

Lebensläufe, Bewerbungsverfahren und so.

Warum gibt es eigentlich seit Jahrzehnten chronologische (na gut, oder antichronologische) Lebensläufe und dieses schrecklich unindividuelle Anschreiben, auf das wirklich keiner Lust hat? So oft habe ich schon als Recruiter die Frage bekommen, was denn da wirklich alles rein muss und was nicht. Ich sage dann immer, dass das Schreiben maximal überflogen wird und dass auf keinen Fall mit rein soll „mit großem Interesse habe ich Ihre Stellenanzeige gelesen“ und die ganzen überflüssigen Floskeln. Nobody cares. Na gut, in Wirklichkeit caren noch viel zu viele, aber das – muss – sich – ändern. Talentsuchende der Zukunft können sich einfach nicht mehr ausschließlich auf Bewerbungsunterlagen wie Lebensläufe, Lücken darin und einwandfreie Zeugnisse (oft subjektive Momentaufnahmen) konzentrieren, wir sollten den Kandidaten noch viel mehr als Individuum, als Mensch verstehen. Selbst Lebensläufe sind oft einheitlich gestaltet (Beispiel „Europass Lebenslauf“) und oftmals nicht mal selbst geschrieben – sondern vom Freund, von Mutti oder von den Lehrern, die einem dann genau erklären, auf welche Seite das Datum muss und Schriftgröße 12 und so Zeug. Vergesst das bitte! Außerdem spiegeln sie die Vergangenheit wieder und nicht die angestrebte Zukunft eines Menschen. Wir sollten einmal begreifen, dass die gelebte Vergangenheit nicht immer direkten Einfluss auf den künftigen Lauf des Lebens hat. Manchmal schon, aber eben nicht immer. Viel wichtiger ist oft die „echte“ Persönlichkeit, vor allem Stärken wie Lernfähigkeit, Motivation und Agilität. Warum sind eigentlich Videobewerbungen immer noch nicht bei uns angekommen? Die sind schnell und unterhaltsam anzusehen und wesentlich individueller und aussagekräftiger. „Soft Skills“, also Fähigkeiten wie Empathie, positives Denken und Begeisterungsfähigkeit können bereits da beobachtet werden, um dann in modernen Auswahlgesprächen/-verfahren noch genauer identifiziert werden. Und diese Gespräche sollten dann aber auch immer auf Augenhöhe stattfinden und wirklich auch zulassen, dass ein Mensch sich so zeigt, wie er sich auch Familie und Freunden zeigen würde. Damit man wirklich verstehen und erkennen kann, ohne Druck, ohne In-Die-Ecke-Drängen, sondern mit Neugierde und ausreichend Zeit. Dabei sollte z. B. auch die klassische 1:1/2:1/x:1 Gesprächssituation aufgehoben werden, die oft wie ein Einzelvortrag vor einem Gremium wirkt. Und solche wertschätzenden Dialoge können doch eigentlich dann dort stattfinden, wo auch die Arbeit stattfinden soll. Wir möchten doch alle unseren möglicherweise künftigen Arbeitsplatz kennen lernen und das Team, die Menschen, mit denen wir dann hoffentlich langfristig zusammen arbeiten. Das kann also ein Flugzeug als Gesprächsraum für einen Flugbegleiter sein, oder eine Werkstatt für einen Handwerker. Im Gespräch jemand dabei, der weiß wovon er spricht, am besten ein künftiger Kollege. Gespräche sollen dabei Austausch bewirken und die Realität beidseitig widerspiegeln. Der moderne Kandidat wird immer öfter genau nachbohren und auch gewissen Erwartungshaltungen (Familie, Karriere, Work-Life-Balance) haben, das ist ja immerhin eine gravierende Entscheidung, die man da für sein Leben und das Leben von Dritten trifft. Ich sehe meine Kollegen häufiger als meinen Freund oder meine Mutter, also möchte ich auch die richtige Entscheidung treffen, hinter der ich dann auch längerfristig stehe. In dem ganzen Prozess sollten Talentsuchende darauf vorbereitet sein, dass der passende Kandidat oft kein makelloser Kandidat sein wird, der devot zu allem „ja und amen“ sagt, sondern unter Umständen auch schon einige Umwege in seinem Lebenslauf hinter sich gebracht hat und Persönlichkeit mitbringt. Diese Umwege oder gar Fehler haben ihm aber vielleicht gerade den nötigen Perspektivenwechsel mitgegeben, den es für den Beruf braucht, und erzählen Geschichten aus dem „echten Leben“ von denen auch andere profitieren können. Man nehme einen Mitarbeiter mit Kassenverantwortung, der vor 15 Jahren wegen Diebstahl vorbestraft wurde, aber heute weiß, dass er Mist gebaut hat. Er kann, wenn man ihm die Chance gibt, seine Geschichte und seine Fehler zu erzählen und mit anderen zu teilen, andere, evtl. jüngere Kollegen aus erster Hand vor den Folgen eines solchen Fehlers warnen – Informationen werden von Menschen, die sich schon einmal in der vermittelten Situation befunden haben ja besonders glaubhaft vermittelt und das gilt ganz besonders für weniger schöne Erlebnisse. Das geht aber eben nur mit menschlichen Einstellungen, einer fehlertoleranten Firmenkultur und einem offenen Ohr, um zu verstehen, ob es dem Menschen ernst ist. Generell könnte man viel von „unperfekten“ Menschen lernen wenn man sie nicht von Anfang an verurteilt. Was ich sagen will: „perfekt“ ist manchmal einfach auch Ansichtssache (bzw. gibt’s ja eh nicht), ehrliches Interesse und Empathie gegenüber Menschen mit denen wir zusammen arbeiten wollen bringen dafür manchmal ganz schön weit, wenn es um die Auswahl des geeigneten Menschen für eine Position geht. Wie wäre es denn eigentlich, wenn wir uns mit unseren künftigen Kollegen und Mitarbeitern ab jetzt immer so unterhalten als würden wir sie Abends halb neun bei einem Glas Rotwein an der Bar treffen? Mit Spaß an der Freude und interessantem Austausch zwischen zwei Menschen. Ohne Theaterspiel wie aus dem Lehrbuch. Sollte doch klappen?!

Moderne Stellenanzeigen und was noch so an ihnen hängt.

Was ist eigentlich der Sinn einer Stellenanzeige? Sie soll dem geeigneten Kandidaten einen ersten Anstoß geben, eine Bewerbung an das werbende Unternehmen zu schicken. Es ist also zunächst einmal Werbung. Bei Werbung sprechen wir heute sehr viel von Authentizität, also warum sollten wir das nicht auch bei Stellenanzeigen so handhaben, bei denen es mittel- bis langfristig um das Leben von Individuen geht. Dass genau diese eine genaue Vorstellung vom künftigen Arbeitsplatz zu bekommen ist es am effektivsten, Stellenanzeigen so realitätsnah und aussagekräftig wie möglich darzustellen. Dabei geht es erst natürlich einmal um die verbale Darstellung von Unternehmenswerten, Vor- und Nachteilen der Firma und Benefits für und Erwartungen an Mitarbeiter – dazu gehören stilistische Mittel wie bspw. siezen vs. duzen in der Anzeige, Aufgaben, Ziele und Mission des Unternehmens sowie auch bestmöglich darzustellen welche „echten“ Aufgaben die Rolle für den künftigen Mitarbeiter beinhaltet. Und zwar die wirklichen Aufgaben, die die Person dann auch haben wird. Das mag ein wenig mehr Zeit kosten, da man keine Standardanzeigen mehr nutzen kann, aber es gibt einem Bewerber einen realitätsnaheren Einblick in die ausgeschriebene Position als ein standardmäßig vordefinierter Text das je tun kann. Menschen möchten unterscheiden können zwischen einer Rolle bei Unternehmen X und  der -oftmals doch so ähnlich klingenden- Rolle bei Unternehmen Y. Wenn es laut Beschreibung keinen offensichtlichen Unterschied zwischen der Recruiter-Rolle bei einem anderen Unternehmen zu meiner derzeit ausgeübten Tätigkeit gibt, warum sollte ich mich dann auf eine allgemein gehaltene Stellenanzeige bewerben? Wenn ich wirklich auf der Suche nach Veränderung bin, dann will ich schon wissen, welche genaue Veränderung das sein kann. Das heißt in der Umsetzung für Unternehmen also mehr Information als Forderung, mehr Angebot als Nachfrage. In uns ist irgendwo tief verankert, dass das Unternehmen zwingend die fordernde Partei sein darf und muss, was aber leider gerade auf einem Kandidatenmarkt nur bedingt zutrifft: liefere ich als Unternehmen genug, dann wird auch der Kandidat und potenzielle Mitarbeiter bereit sein seine gesamte Energie in das Unternehmen zu stecken.

In Zeiten in denen es immer schwieriger wird, Talente zu finden und zu binden helfen weniger fordernde Stellenanzeigen dabei, nicht nur eine bestimmte Kernzielgruppe anzusprechen, sondern auch alle Zielgruppen „drumherum“, die also an diese Kernzielgruppe nahe herankommen, beispielsweise einen Programmierer, der eine verwandte Programmiersprache beherrscht, die nah an die geforderte herankommt. Über Motivation und Lernbereitschaft ist eine solche Sprache von einem geeigneten Kandidaten schnell gelernt. Natürlich  sollten in der Anzeige schon gewisse Mindestanforderungen hinterlegt sein, die zwingend notwendig sind, sonst bräuchten wir keine Stellenanzeigen mehr und könnten nur noch Initiativbewerbungen entgegennehmen (auch das ist ein interessanter Ansatz, aber das kommt dann ein andermal ;)) – aber alles andere an Forderungen an den Kandidaten kann mit Worten wie „ist wünschenswert“ und „idealerweise“ oder „toll wäre es, wenn…“ möglichst weich formuliert werden. Ein Grund dafür ist z. B., dass gerade junge Frauen, die sich gerne mal unterschätzen  seltener auf Stellen bewerben von denen sie meinen, den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Ich kann mich an einige Gespräche mit Rat suchenden Freundinnen erinnern in denen der Satz „aber das kann/hab/weiß ich doch gar nicht, die nehmen mich doch nie“ fiel. Und an Männer, die sich auf Jobs beworben haben, die überhaupt nicht ihrem Profil entsprachen und damit ihren Traumjob bekommen haben. Das ist natürlich wie immer nicht ganz zu verallgemeinern, aber der wichtige Punkt dabei ist, dass gerade talentierte Menschen sich oft einen „zu großen Kopf“ über ihre Bewerbung machen und selbstkritischer sind, als sie das oft sein müssten. Und das sind dann leider auch die, die man durch zu hohe, manchmal utopische Anforderungen im Vorfeld aussiebt, ohne sich je mit ihnen unterhalten zu haben. Deshalb: Mindestanforderungen in die Anzeige packen und dann direkt in den Dialog gehen.

Ein anderer interessantes Element, das zu einem zeitgemäßen Employer Branding und eben auch zur Stellenanzeige dazu gehören kann, ist eine Visualisierung des ausgeschriebenen Jobs, d.h. des potentiell künftigen Arbeitsplatzes, des Teams und der täglichen Aufgaben. Da kann es helfen einen Tag in der Woche im Team mit der GoPro zu filmen (lässt sich super mit Mitarbeiterbindung oder Teambuildings kombinieren) und das Team vorstellen zu lassen – und zwar ohne Gnade mit allen seinen Vorzügen und Macken, so dass es dann später keine bösen Überraschungen, sondern maximal ein „ah, das war damit gemeint“ gibt. Wir neuen Arbeitnehmer wollen keine Scheinwelt, wir wollen die Realität, denn wir leben in ihr und wenn wir uns für eine Firma entscheiden, dann verbringen wir mehr mit dieser Realität als mit unserem Tinder-Match. Das heißt: Authentizität, aber echte bitte, und nicht in Form von Zahnpasta-Image-Videos. Stellenanzeigen können  aber auch mit Instrumenten wie Persona arbeiten, z. B. mit der „kommunikativen Networkerin mit Gaming-Affinität (= Talent Sourcer)“ oder dem „Wirbelwind mit ansteckendem Lachen und neurotischer Genauigkeit (=Flugbegleiter)“, deren Eigenschaften und Anforderungen dann spielerisch verbildlicht werden. Dabei kann unter Umständen auch ein Steckbrief oder eine Kontaktadresse von realen Mitarbeitern hinterlegt sein, um Interessenten die Möglichkeit zu geben, schon einmal „reinzuschnuppern“ und sich vorab zu informieren.

Die Möglichkeiten für innovative Stellenanzeigen sind nach oben hin offen. Solange die Informationen übersichtlich bleiben und nicht zu viel „Schnickschnack“ das Wesentliche überdeckt, steht neuen Elementen in Stellenanzeigen eigentlich nichts im Wege. Dabei spielt die authentische, realitätstreue Beschreibung das A und O. Also weg mit den „Mindestens 5 Jahren Berufserfahrung im genannten Bereich“, „Flexibilität, Teamfähigkeit und Durchsetzungsvermögen“.